Die Spiegel'sche Hernie (SpH) ist eine seltene Form der ventralen Hernie, die in den meisten Fällen erworben ist. Sie ist nach dem flämischen Anatomen Adriann van den Spieghel (1578-1625) benannt, der mehrere anatomische Neubeschreibungen einführte. Insbesondere beschrieb er die Linea semilunaris, die ursprünglich als Linea semilunaris spigelii bezeichnet wurde [1]. Die erste Erwähnung der SpH selbst erfolgte jedoch erst ein Jahrhundert später durch den böhmischen Anatomen und Chirurgen Josef Klinkosch. Er beschrieb eine ventrale Hernie, die im Bereich der Linea spigeli auftrat und daher als Spiegel´sche Hernie bezeichnet wurde. [2].
Die Inzidenz der SpH ist derzeit nicht bekannt, aber die Zahl der gemeldeten Fälle hat in letzter Zeit mit der zunehmenden Verwendung von Schnittbildverfahren zugenommen. Aufgrund der spezifischen anatomischen Lokalisation unter der Aponeurose obliqua externa bleibt die SpH eine diagnostische Herausforderung. Darüber hinaus besteht bei der SpH im Vergleich zu anderen Bauchwandhernien ein deutlich erhöhtes Inkarzerationsrisiko. Daher sollten auch asymptomatische SpH für eine elektive Reparatur in Betracht gezogen werden. Heutzutage können SpH, ähnlich wie andere ventrale Hernien, mit minimalinvasiven Techniken behandelt werden, auch in Notfallsituationen. Es gibt jedoch keine eindeutigen Richtlinien, die eine bestimmte laparoskopische Technik einer anderen vorziehen, obwohl die Morbidität und die Rezidivrate im Allgemeinen niedrig sind und auf mehreren Patientenserien basieren. Bei großen Hernien oder bei Notfalloperationen mit zu erwartender Darmresektion bleibt der offene Zugang eine valide Option. Abgesehen von einigen anatomischen Einschränkungen des TEP-Zugangs hat sich derzeit keiner der bestehenden minimalinvasiven Ansätze als überlegen erwiesen. Intraabdominelle laparoskopische Verfahren sind einfacher zu erlernen und durchzuführen und bieten eine bessere Übersicht über die Bauchhöhle. Unabhängig von der verwendeten Technik wird eine Netzreparatur empfohlen. Bei kleinen Hernien ist jedoch auch eine Reparatur ohne Netz eine sinnvolle Alternative.
Chirurgisch relevante Anatomie
Als SpH wird die Protusion von lokalem präperitonealem Fettgewebe oder eines Bruchsacks durch einen Defekt in der Spieghel-Aponeurose bezeichnet. Als Spieghel-Aponeurose wird die Faszie des M. transversus abdominis bezeichnet, lateral begrenzt durch die Linea semilunaris (reicht von der 9. Rippe bis zur Symphyse) und medial durch den lateralen Rand des Rektusmuskels. Die SpH ist eine interstitielle Herniation mit Durchbrechung der Aponeurose des M.transversus abdominis und des M. obliquus internus abdominis, während die oberflächlich liegende Faszie des M. obliquus abdominis externus meist erhalten bleibt. Prädilektionsstelle der SpH ist die Kreuzungstelle zwischen Linea semilunaris und der Linea arcuata.
In einer neueren Serie wurde über Spiegel'sche Hernien kranial der Linea arcuata bei mehr als 10% der betroffenen Patienten berichtet [5]. Der Begriff "low spigelian hernia" bezeichnet darüber hinaus einen Subtyp der SpH, der kaudal der Arteria epigastrica inferior innerhalb des Hesselbach'schen Dreiecks liegt und erstmals von Spangen [4] eingeführt und in der Serie von Klimopoulos [6] bei etwa 8 % operativ versorgten Leistenhernien gefunden wurde.
In der axialen Ebene neigt der Bruchsack dazu, sich lateral in die interstitielle Schicht zwischen den Mm. obliquus internus und externus auszudehnen, ohne die intakte Aponeurose obliqua externa zu durchdringen. Diese Beobachtung wurde in einer französischen Serie von 51 Patienten bei 90% der SpH bestätigt [7]. Die spezifische anatomische Situation der SpH mit einer eher kleinen Bruchpforte, die in der Regel einen Durchmesser von 2 cm nicht überschreitet und der Entwicklung eines interobliquen Bruchsacks erschweren die Diagnose dieser Erkrankung mit einer besonderen Neigung zur Inkarzeration.
Epidemiologie
Die tatsächliche Inzidenz von SpH in der Allgemeinbevölkerung ist nach wie vor unbekannt, da viele Patienten nie Symptome entwickeln, die zu einer Diagnose führen würden. Frühere Berichte deuten auf eine Inzidenz von 1-2% aller ventralen Hernien hin [5, 8]. In einer großen Ultraschallstudie mit 785 vorderen Bauchwandhernien wurden 1,4 % SpH diagnostiziert [9]. In einer neueren Studie, in der bei über 200 Patienten laparoskopisch nach okkulten ventralen Hernien gesucht wurde, fand sich bei 2 % der asymptomatischen Patienten ein Defekt der Spiegel´schen Faszie [8]. Nach den größten publizierten Serien betrifft die SpH hauptsächlich die erwachsene Bevölkerung mit einem Durchschnittsalter von 65 Jahren zum Zeitpunkt der Diagnose [5, 10]. Die SpH tritt häufiger bei Frauen auf, das Verhältnis von Frauen zu Männern beträgt 2:1 [5, 11, 12]. Frühere Schwangerschaften und ein erhöhter intraabdomineller Druck während der Geburt werden als prädisponierende Faktoren angesehen [13, 14].
Eine "natürliche Progression" der SpH bei Erwachsenen wurde kürzlich durch die Beobachtung unterstützt, dass jüngere Patienten in den meisten Fällen kleinere Spiegelfasziendefekte mit nur präperitonealem Inhalt aufweisen, im Gegensatz zu älteren Patienten, die bei Diagnosestellung eher größere Hernien mit peritonealem Inhalt zeigen [5]. Nach einer systematischen Übersichtsarbeit, die mehr als 200 SpH umfasste, scheint die SpH aus unbekannten Gründen auf der linken Seite leicht zu überwiegen [15].
Das wichtigste epidemiologische Merkmal ist das Risiko einer Inkarzeration mit der Notwendigkeit eines Notfalleingriffs, das bis zu 24 % aller SpH betrifft und durch aktuelle Daten von 17 % bestätigt wird [4, 5, 10]. Dies ist vor allem auf den im Vergleich zum Bruchinhalt kleinen und schmalen Defekt in der Spiegel´schen Faszie zurückzuführen [5, 10, 16]. Im Vergleich zu anderen ventralen Hernien hat die SpH daher ein deutlich erhöhtes Inkarzerationsrisiko. So wird z.B. für Nabelhernien ein 5-Jahres-Inkarzerationsrisiko von nur 4% im Beobachtungszeitraum berichtet [17]. Bei Leistenhernien schwankt das Risiko je nach Nachbeobachtungszeit zwischen 0,27 und 2,5 % [18].
Klinik
Am häufigsten leiden die Patienten unter intermittierenden Schmerzen und Schwellungen im Unterbauch [15]. Nach den Erfahrungen von Larson et al [10] beschreiben zwei Drittel der Patienten klinische Symptome, ohne dass ein klinischer Befund vorliegt. Webber et al. vermuten, dass sich die SpH in zwei Stadien entwickelt: erstens eine kleine SpH ohne peritoneale Komponente, die typischerweise bei jüngeren Patienten auftritt, die nur über intermittierende Schmerzen ohne tastbaren Bruchsack klagen; und zweitens eine größere SpH mit tastbaren Bruchsack [5]. Die am häufigsten inkarzerierten Strukturen sind Dünndarm, Omentum majus und Colon sigmoideum [5]. In mehreren Fallberichten wurde über die Einklemmung ungewöhnlicher Hernieninhalte wie Meckeldivertikel, Magen, Ovar oder Harnblase berichtet [39-41].
Eine "low Spigelian hernia" kann mit einer Leistenhernie verwechselt werden, und die endgültige Diagnose wird nicht selten erst intraoperativ gestellt [5, 6]. Die Koexistenz einer "Low Spigelian hernia" mit einer direkten Inguinalhernie wurde beschrieben, was höchstwahrscheinlich auf eine begleitende Schwäche der Spiegel'schen Faszie im Bereich des Ansatzes des Rectus abdominis zurückzuführen ist [19].
Zu den Differentialdiagnosen eines palpablen Bruchsacks in der typischen SpH-Region gehören Lipome [5], Hämatome des M. rectus abdominis oder solide Tumoren im Abdomen. Schmerzen in der linken Leistenregion ohne palpablen Bruchsack können mit allen anderen Ursachen linksseitiger Bauchschmerzen verwechselt werden, z.B. mit einer akuten Sigmadivertikulitis [20].
Klassifikation
Die SpH gehört zu den primären ventralen Hernien, für die die Klassifikation der European Hernia Society (EHS) herangezogen werden kann [21]. Die EHS klassifiziert die primären Bauchwandbrüche ausschließlich nach dem Defektdurchmesser:
- klein < 2 cm (häufigste Defektgröße bei SpH)
- mittelgroß ≥ 2-4 cm
- groß > 4 cm
Kürzlich wurde eine Unterscheidung zwischen SpH mit und ohne Peritonealkomponente beschrieben, die Auswirkungen auf die Wahl des geeigneten chirurgischen Vorgehens hat [5]. Die "low spigelian hernias" können in die Klassifikation der Leistenhernie nach Nyhus (Typ Ib) oder Gilbert (Typ 5) eingeordnet werden [6].
Prädisponierende Faktoren
Wie bei anderen ventralen Hernien finden sich bei Patienten mit SpH regelmäßig Faktoren, die zu einem erhöhten intraabdominellen Druck beitragen, wie z.B. COPD, chronischer Husten und Adipositas. Slakey et al. stellten die Hypothese auf, dass das Pneumoperitoneum während eines laparoskopischen Eingriffs durch eine vorbestehende Schwäche der Spiegel'schen Faszie zur Entwicklung einer SpH beitragen könnte, indem sie einen Fall einer inkarzerierten Spiegel'schen Hernie nach einer laparoskopischen Lebendspender-Nephrektomie beschrieben [22]. Eine SpH wird häufig bei Patienten diagnostiziert, die gleichzeitig an einer anderen ventralen Hernie leiden, entweder aktuell oder in der Vergangenheit [15, 23]. Eine kontinuierliche ambulante Peritonealdialyse wurde ebenfalls als Risikofaktor beschrieben [11, 24].
Diagnostik
Die SpH bleibt eine klinische Diagnose, die allerdings eine Herausforderung sein kann. Bildgebende Verfahren wie Ultraschall der Bauchdecke oder Computertomographie werden in der Regel bei zweifelhafter Diagnose durchgeführt. In der größten bisher publizierten Serie konnte in bis zu 20 % der Fälle die Diagnose bei unklarer körperlicher Untersuchung durch bildgebende Verfahren bestätigt werden [10]. Mehrere Studien weisen darauf hin, dass die Abdomensonographie bei SpH mit einer Sensitivität von 83-90 % ein aussagekräftiges bildgebendes Verfahren ist [24-26]. Der Vorteil der CT-Bildgebung liegt in der Möglichkeit, neben der Darstellung des Herniendefektes auch den Hernieninhalt zu identifizieren. Bei okkulter SpH wird eine bildgebende Diagnosesicherung empfohlen [25]. Die diagnostische Laparoskopie ist Patienten mit persistierenden Beschwerden und unklarem Ultraschall- und CT-Befund vorbehalten [27, 28].
Behandlungsoptionen
Die am häufigsten beschriebenen Frühkomplikationen sind Serome, Hämatome und Wundinfektionen. Postoperative Komplikationen sind insgesamt eher selten [15, 29]. Skouras et al. berichteten über 2,3 % postoperative Komplikationen nach laparoskopischen Verfahren [30], verglichen mit 18 % bei offenen Eingriffen [11]. Beide Studien berichteten allerdings über eher kleine Kollektive und nur sechs Patienten repräsentierten die relativ hohe Komplikationsrate bei den offenen Eingriffen.
Wegen des erheblichen Einklemmungsrisikos sollten alle SpH operativ behandelt werden [5, 10, 29]. Nach den neuesten EHS-Leitlinien gibt es keine definitiven Empfehlungen für offene oder minimal-invasive Verfahren, die Wahl des Verfahrens liegt im Ermessen des Operateurs [28]. Die Rezidivrate ist insgesamt sehr niedrig, insbesondere nach Netzeinlage [23, 30]. Wie bei allen ventralen Hernien ist eine Netzüberlappung von mehr als 5 cm über den Defekt obligatorisch. Der Verschluss des SpH-Defektes vor Netzeinlage ist umstritten und wird in der EHS-Position 2020 nicht explizit kommentiert [28, 31]. Bei den meisten Netzreparaturen und unabhängig von der verwendeten Technik kann ein Polypropylennetz verwendet werden, mit Ausnahme der intraabdominellen Netzplatzierung, bei der aus Gründen der Adhäsionsprophylaxe ein Kompositnetz verwendet werden sollte [23, 31, 34].
Offen vs. laparoskopisch
Die erste laparoskopische Operation bei SpH wurde 1992 durchgeführt [32]. Die minimal-invasiven Techniken führen auch bei der Versorgung der SpH zu geringerer postoperativer Morbidität, verkürzen die Dauer des Krankenhausaufenthaltes und ermöglichen eine frühere Rückkehr zu normalen Aktivitäten [11, 23]. Der intraperitoneale laparoskopische Zugang hat den Vorteil, dass die gesamte Bauchdecke leichter untersucht werden kann, während bei der offenen Standardreparatur eine längere Inzision erforderlich sein kann, insbesondere wenn die SpH nicht palpabel ist [31].
Trotz der Entwicklung minimal-invasiver Techniken gibt es immer noch einige Vorteile der offenen Chirurgie. Im Verhältnis zur Größe der SpH kann eine kleine präperitoneale SpH ohne Peritonealsack und Inhalt laparoskopisch schwer zu erkennen sein. Andererseits kann eine voluminöse SpH, bei der eine umfangreiche Reparatur der Bauchdecke zu erwarten ist, wahrscheinlich am besten mit einem offenen Zugang behandelt werden [5]. Außerdem ist eine Behandlung in Regionalanästhesie nur bei offener Reparatur möglich [11]. Die anteriore Hernioplastik mit präperitonealem Sublay-Mesh in Lokalanästhesie wurde als erfolgreicher ambulanter Eingriff ohne Langzeitrezidive beschrieben [33].
Laparoskopische Verfahren
Ähnlich wie bei der Behandlung anderer ventraler oder inguinaler Hernien können die minimalinvasiven Techniken IPOM (IntraPeritoneal Onlay Mesh), TEP (Totally ExtraPeritoneal) und TAPP (TransAbdominal PrePeritoneal) auch bei der SpH-Reparatur eingesetzt werden. Derzeit gibt es keine solide Empfehlung für eine dieser Methoden, aber einige Vorteile und mögliche Einschränkungen wurden beschrieben. Die einzige existierende prospektive Studie, in der die TEP mit der IPOM-Reparatur verglichen wurde, zeigte ausgezeichnete Ergebnisse für beide Methoden ohne Komplikationen oder Rezidive nach 4 Jahren [31]. Es wird jedoch berichtet, dass die TEP-Methode im Vergleich zur IPOM doppelt so hohe Gesamtkosten verursacht, was hauptsächlich auf den Preis des Ballondissektors zurückzuführen ist.
Die TEP-Reparatur wird von einigen Autoren bevorzugt, da sie keinen Zugang zur Bauchhöhle erfordert und das Risiko intraabdomineller Adhäsionen verringert [27]. Moreno-Egea et al. schlagen die TEP-Reparatur bei Patienten mit "low Spigelian hernia" und relativ geringer Größe vor [31]. Außerdem kann der TEP-Ansatz nur angewendet werden, wenn die SpH unterhalb der Arcuata-Linie liegt [5]. Ein möglicher Vorteil der TEP-Reparatur besteht in der Möglichkeit, eine begleitende direkte Inguinalhernie zu erkennen und zu versorgen [19].
Der Vorteil des IPOM-Verfahrens und auch der TAPP-Methode ist die Möglichkeit, das gesamte Abdomen zu explorieren [23, 30, 34]. Beide Methoden wurden auch in der Notfallsituation mit inkarzeriertem Hernieninhalt beschrieben. Die IPOM-Methode gilt als die am einfachsten zu erlernende und am sichersten durchzuführende Methode [31].
Die größte Einschränkung des IPOM ist das Risiko von Nervenverletzungen oder Hämatomen durch die Verwendung von Klammern oder Tackern. Als mögliche Lösung wurde eine Fibrinversiegelung anstelle von Klammern vorgeschlagen [35]. Es gibt jedoch keine veröffentlichten Daten zu IPOM bei SpH, die eine Komplikation durch Klammern oder intraperitoneale Netze beschreiben [31]. Nach Moreno-Egea et al. sprechen eine SpH-Größe > 3 cm, eine bilaterale Hernie und ein nicht reponibler Inhalt für eine intraperitoneale Technik.
Eine mögliche Einschränkung der TAPP-Methode, auf die Moreno-Egea et al. hinweisen [31], ist die potentielle Schwierigkeit des Verschlusses des Peritoneallappens aufgrund des dünneren und fragileren Peritoneums an dieser Stelle.
Die laparoskopische, total extraperitoneale Single-Incision-Reparatur (SIL-TEP) von SpH wurde als alternativer technischer Ansatz vorgestellt. Als Hauptvorteil wurde die Kostenersparnis durch die teleskopische extraperitoneale Dissektion anstelle des bei der TEP-Technik verwendeten Standard-Ballondissektors hervorgehoben. Die Autoren beschrieben kein Rezidiv nach einer kurzen Nachbeobachtungszeit von 9 Monaten [19].
Kürzlich wurden Fallberichte über die roboterassistierte SpH-Reparatur mit vielversprechenden vorläufigen Daten veröffentlicht [36, 37].
Es gibt relativ wenig Literatur, die sich speziell mit der Notfallchirurgie bei SpH befasst. Notfälle von SpH wurden in Fallberichten beschrieben. In der Serie von Larson et al, die acht Patienten mit klinischen Notfällen beschreibt, hatten sieben Patienten inkarzeriertes Gewebe, das reseziert werden musste [10].