Distale Radiusfrakturen gehören zu den häufigsten Frakturen im Erwachsenenalter mit einer Inzidenz von 20 pro 10.000 Personen pro Jahr [1, 2]. Frauen erleiden eine distale Radiusfraktur häufiger als Männer [3]. Die meisten distalen Radiusfrakturen können konservativ durch Ruhigstellung behandelt werden, dislozierte Frakturen erfordern oft eine Operation [4].
Die Frakturversorgung mit offener Reposition und innerer Fixation (ORIF) hat in den letzten zehn Jahren deutlich zugenommen [3]. Die perkutane Spickdrahtosteosynthese, der Fixateur externe, die gelenküberbrückende Plattenosteosynthese ("spanning plate") und die intramedulläre Nagelung sind zusätzliche Möglichkeiten zur Stabilisierung von distalen Radiusfrakturen [5, 6]. Die Art und Weise, wie eine Fraktur behandelt wird, variiert je nach Patient (Alter, Aktivität oder zusätzliche Erkrankungen) [7], lokalen Standards [8] und Frakturmustern [9].
Klassifikationen
Distale Radiusfrakturen sind in verschiedene Kategorien unterteilt. Die AO-Klassifikation wird häufig verwendet, um distale Radiusfrakturen zu beschreiben und basiert wie die Frykman-Klassifikation auf der Frakturbeurteilung im herkömmlichen Röntgenbild [10]. Das „viereckige Konzept“ ("four corner concept") mit den radialen, palmaren, dorsalen und ulnaren „Ecken“ bzw. Fragmenten wird durch axiale Computertomographie (CT)-Bilder beschrieben [11]. Wie von Bain et al. [12] beschrieben, korrelieren die "Ecken" am Radius mit den Ansätzen der radiokarpalen und radioulnaren Bänder. Daher gibt es laut Brink et al. acht übliche Frakturmuster des distalen Radius [11]. In der sagittalen CT-Rekonstruktion ist das Os lunatum nicht selten entweder mit dem dorsalen oder palmaren Fragment subluxiert. Dieses Fragment, dass das Os lunatum subluxiert, wird als Schlüsselfragment bezeichnet und sollte zu Beginn der Osteosynthese angegangen werden [11]. In ihrer Klassifikation beschreiben Hintringer et al. ein frakturmusterspezifisches Fragment und leiten davon die operative Strategie ab [13].
Prinzip und Ziel der Operation
Eine konservative Behandlung kann bei stabilen, nicht dislozierten Frakturen durchgeführt werden. Dies beinhaltet normalerweise eine Ruhigstellung im Unterarmgips für 4 bis 6 Wochen [1]. Eine Operation ist erforderlich, wenn dislozierte Frakturen nicht geschlossen reponiert werden können oder instabil sind und eine erneute Dislokation zu erwarten ist (Tab. 1). Eine funktionelle Nachbehandlung einer nicht dislozierten Fraktur kann in Ausnahmefällen, wie beispielsweise bei einer beidseitigen Verletzung der oberen Extremität in Erwägung gezogen werden. Trotz guter Frakturstellung und fehlender Instabilitätskriterien kann in diesem Fall nach Absprache mit dem Patienten eine Plattenosteosynthese empfohlen werden.
Tab. 1 Instabilitätskriterien von distalen Radiusfrakturen |
dorsale Trümmerzone [14, 15] |
Alter > 60 Jahre [15] |
weibliches Geschlecht [15] |
dorsale Abkippung > 20° [14] |
assoziierte distale Ulnafraktur (exklusive Abriss der Spitze des Proc. styloideus ulnae) [15] |
Radiusverkürzung > 5 mm [14, 16] |
palmare Abkippung [17] |
Ziel der operativen Versorgung ist es, die ossäre Heilung bei korrekt wiederhergestellter Achse, Rotation, Längenverhältnis Radius/Ulna und Radialinklination sowie die anatomische Rekonstruktion der Gelenkfläche bei intraartikulären Frakturen zu erreichen. Die Fixierung der Fragmente sollte eine funktionelle postoperative Behandlung ermöglichen. Wenn Fixationsprinzipien wie die Kirschner-Draht-Osteosynthese nicht funktionsstabil sind, ist eine zusätzliche Ruhigstellung durch Gips erforderlich, wodurch eine funktionelle Nachbehandlung nicht möglich ist.
Die Plattenosteosynthese erfordert eine offene Frakturreposition. Die überwiegende Zahl der distalen Radiusfrakturen wird mittels palmarer winkelstabiler Plattenosteosynthese versorgt. Der palmare Zugang ermöglicht jedoch keine Sichtkontrolle der Gelenkfläche und erfordert die Ligamentotaxis der dorsalen radiokarpalen Bänder für die Reposition von dorsalen Fragmenten. Ein dorsaler Zugang sollte durchgeführt werden, wenn zentral imprimierte Gelenkfragmente oder dorsale Fragmente nicht durch die Ligamentotaxis reponiert werden können. Der dorsale Zugang ermöglicht zudem die Mitversorgung von ligamentären oder ossären Begleitverletzungen der proximalen Handwurzelknochen. Der dorsale Zugang hat laut Literatur keinen negativen Einfluss auf das funktionelle oder radiologische Ergebnis [18].
Bei einer zentralen Impression der Gelenkfläche kann auch eine arthroskopisch assistierte Reposition und Fixation der Fragmente erfolgen. Bestimmte Frakturen können perkutan oder arthroskopisch unterstützt durch Zugschrauben versorgt werden, wie zum Beispiel die Fraktur des Processus styloideus radii.
Absolute Indikationen für eine Operation umfassen:
- offene Frakturen
- Luxationsfrakturen
- Begleitverletzungen von Gefäßen und/oder Nerven.
Die relative Indikation für die operative Versorgung von distalen Radiusfrakturen hängt stark von den Bedürfnissen des Patienten ab. Die Indikation wird bei jüngeren, aktiven Patienten großzügiger gestellt als bei älteren Patienten, die weniger funktionelle Ansprüche haben. Frakturen mit weniger als 3 Instabilitätskriterien (Tab. 1), bei denen eine gute Frakturstellung durch geschlossene Reposition erreicht wurde, können primär konservativ behandelt werden. Um eine sekundäre Dislokation rechtzeitig zu erkennen, ist eine radiologische Verlaufskontrolle nach etwa 1 und 2 Wochen erforderlich. Normalerweise sollten Frakturen, die eine Dislokation nach Tab. 2 aufweisen und entweder nicht ausreichend reponiert werden können oder mehr als drei Instabilitätskriterien aufweisen, operativ behandelt werden.
Tab. 2 Grenzen einer akzeptablen Frakturdislokation bei distalen Radiusfrakturen |
palmare Abkippung |
Radiusverkürzung mit Ulna plus > 2 mm |
intraartikuläre Stufe ≥ 1 mm |
intraartikulärer Spalt ≥ 2 mm |
dorsale Abkippung > 10° |
radiale Inklination < 15° |
koronale Verschiebung |
pathologisches karpales Alignement |
Zwei weitere, häufig weniger beachtete radiologische Kriterien, die auf eine operationswürdige Instabilität hinweisen, sind das karpale Alignement und die koronale Verschiebung ("coronal shift") [19, 20, 21]. In einer seitlichen Röntgenaufnahme wird das karpale Alignement anhand der Radiusachse im Verhältnis zur Position des Os capitatum bewertet [22]. Es gibt zwei Möglichkeiten zur Bestimmung des karpalen Alignements. In der ersten Variante wird eine Linie entlang der Längsachse des Radius und des Os capitatum angebracht. Ein regelrechtes Alignement liegt vor, wenn sich diese beiden Linien innerhalb des Carpus schneiden. In der zweiten Methode wird eine Linie entlang der inneren Grenze der palmaren Kortikalis des Radius gezogen. Wenn diese Linie das Zentrum des Os capitatum schneidet, besteht ebenfalls ein regelrechtes Alignement [20, 22]. Eine d.-p.-Röntgenaufnahme wird verwendet, um die koronale Verschiebung zu bewerten. In diesem Fall wird eine ulnare Radiusbegrenzungslinie angelegt und nach distal verlängert. Diese Linie sollte das Os lunatum in den mittleren 2/4 kreuzen (26–75 % der Breite des Lunatums liegen bei Gesunden ulnar des Schnittpunktes) [21].
Indikationen für den palmaren Zugang
- nach palmar abgekippte Frakturen
- nach dorsal abgekippte Frakturen, die durch Ligamentotaxis reponiert werden können
Indikationen für den dorsalen Zugang
- Frakturen mit intakter palmarer Lippe
- eine zentrale Impression ("Die-Punch-Fragment“)
- Notwendigkeit der Sichtkontrolle des radiokarpalen Gelenks
- begleitende Bandverletzungen (wie das skapholunäre Band)
- Frakturen der proximalen Handwurzelknochen.
Ergebnisse
Selbst wenn eine akzeptable Frakturstellung durch geschlossene Reposition erreicht werden konnte, konnten prospektiv randomisierte Studien sowohl für dislozierte intra- als auch extraartikuläre distale Radiusfrakturen bessere funktionelle Ergebnisse nach palmarer Plattenosteosynthese im Vergleich zur konservativen Therapie aufzeigen [23, 24]. Patienten im Alter von 18 bis 75 Jahren wurden in diesen Studien eingeschlossen. Umstritten ist, ob die Plattenosteosynthese und die Wiederherstellung der Anatomie bei älteren Patienten ab 65 Jahren tatsächlich von Vorteil ist [25]. Ältere Patienten, die sich einer operativen oder konservativen Therapie durchgeführt haben, haben scheinbar die gleichen Langzeitergebnisse (über 12 Monate) [26, 27, 28]. Die operative Therapie erleichtert jedoch die Rekonvaleszenz und führt zu besseren funktionellen Ergebnissen in den ersten Monaten [27, 28]. Daher ist es wichtig, bei der Indikationsstellung zur Operation Alter und Gesundheitszustand des Patienten zu berücksichtigen.
Die Plattenosteosynthese ist eine sichere Operation, die eine postoperative Komplikationsrate von 9–15 % aufweist [29, 30]. Die am häufigsten auftretenden Komplikationen sind Sehnenirritationen oder -rupturen. Eine Metaanalyse hat gezeigt, dass es zwischen operativer und konservativer Therapie von distalen Radiusfrakturen keinen Unterschied in Bezug auf die Komplikationsrate gab [25]. Es wurde kein Unterschied zwischen palmarer und dorsaler Plattenosteosynthese von AO Typ-C3-Frakturen in Bezug auf Komplikationen und funktionelle Ergebnisse festgestellt [18]. Daher sollte der gewählte OP-Zugang auf das Frakturmuster ausgerichtet sein, um eine anatomische Rekonstruktion zu erreichen.