Epidemiologie
Der Anteil rektovaginaler Fistel an der Gesamtheit aller Analfistel beträgt rund 5 % (85). Besonders häufig sind sie auf Geburtstraumata zurückzuführen (88 %) und treten nach 0,1 % aller vaginalen Entbindungen auf (36). Weitere Ursachen sind chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (insbesondere M. Crohn) mit bis zu 2,1 % und tiefe anteriore Rektumresektionen mit bis zu 10 % (85, 24, 43, 56, 57, 69). Vermehrt werden rektovaginale Fisteln als Komplikationen nach Engriffen beim Hämorrhoidalleiden und funktionellen Beckenbodenerkrankungen beobachtet, insbesondere dann, wenn Klammernahtgeräte oder Fremdmaterial verwendet wurden (3, 27, 35, 49, 64).
Klassifikation
Eine einheitliche Klassifikation der rektovaginalen Fisteln existiert nicht. Es existieren Klassifikationen, die sich nach Ursache, Größe und Lokalisation richten. Eine weitere Einteilung unterscheidet einfache und komplizierte Fisteln: Kompliziert klassifiziert werden Crohn-Fisteln und radiogen bedingte Fisteln.
Für das operative Vorgehen empfiehlt sich die Unterscheidung zwischen hohen und tiefen Fistelformen: hohe Fisteln erfordern ein abdominelles Vorgehen, tiefe Formen können über einen analen, perinealen oder vaginalen Zugang saniert werden. Da auch die Einschätzung eines evtl. vorhandenen Dammdefekts Einfluss auf die operative Strategie hat, sei an dieser Stelle die Klassifikation von Fry et al. erwähnt (26, 19, 40, 41, 52):
I Dammdefekt ohne Fistel
II Dammdefekt mit Fistel im unteren Drittel der Vagina
III Kein Dammdefekt, Fistel im unteren Drittel der Vagina
IV Kein Dammdefekt, Fistel im mittleren Drittel der Vagina
V Kein Dammdefekt, Fistel im oberen Drittel der Vagina
Ätiologie
Rektovaginale Fisteln entstehen hauptsächlich durch Traumata, weitere Ursachen sind entzündliche Prozesse und postoperative Komplikationen nach Eingriffen im kleinen Becken (12, 18, 72,75, 85).
Postpartale rektovaginale Fisteln
- 88 % aller rektovaginalen Fisteln (75)
- Ursächlich: Dehnungstrauma mit Zerreißung des Damms und des rektovaginalen Septums (29)
- 5 % aller vaginalen Entbindungen führen zu einem dritt- oder viertgradigen Dammriss; Risiken: hohes Kindsgewicht, Zangenentbindungen v.a. bei älteren Gebärenden (4, 37)
- Die primäre, unmittelbar postpartal durchgeführte Reparation des Dammrisses führt bei rund 95 % der betroffenen Frauen zu guten Ergebnissen. (72)
- 1 – 2 % aller höhergradigen Dammrisse (Grad IV: kompletten Zerreißung von Haut, Perineum, Analsphinkter und Rektummukosa) führen zu einer rektovaginalen Fistel infolge einer Dehiszenz der primären Reparation oder einer inadäquaten Versorgung. (36)
- Selten: Spontanheilung der Fistel in der frühen postpartalen Phase (36, 68)
- Häufig bei postpartalen Fisteln: gleichzeitige Sphinkterläsionen mit Stuhlinkontinenz (19, 40, 41, 52)
Rektovaginale Fisteln durch lokale Infektionen
- Vor allem kryptoglandulärer Infekt und Entzündungen der Bartholinischen Drüsen (33, 92)
- Selten: Tuberkulose (72), Lymphogranuloma venerum (47), Amöbiasis (22), Schistosomasis (45), entzündliche Veränderungen/Erosionen durch Fremdkörper wie belassene Intrauterinpessare (2, 6, 10, 34, 38, 67, 70), Missbrauch von Suppositorien, die Ergotamin oder Nicorandil enthalten (59, 65, 73)
- Auch: HIV und damit assoziierte Infektionen (1, 60, 74), M. Behcet (13, 15)
Rektovaginale Fisteln nach Rektumresektion
- Ursächlich durch iatrogene Perforation der Vagina sowie durch Verwendung von Klammernahtgeräten
- Bei bis zu 10 % aller tiefen Rektumanastomosen (43, 51), z. B. bei Malignomen, Pouchanlage bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (23, 25) sowie bei Proktokolektomie infolge Polyposis coli (55)
- Weiterer Risikofaktor: prä- oder postoperative Radiochemotherapie; bis zu 6,5 % Fistelbildung (16, 42, 46)
- Wichtigster Risikofaktor: Verwendung von Klammernahtgeräten, z. B. versehentliches Mitfassen der Vaginalwand nach vorangegangener Hysterektomie (5, 39, 43, 56, 57, 69, 80, 89), aber auch Anastomoseninsuffizienz, die – zunächst inapparent – zu einer Abszedierung im kleinen Becken führt, die sich dann über die Scheide entleert (50, 76)
Rektovaginale Fisteln nach anderen operativen Eingriffen am Rektum und im kleinen Becken
- Transanale Tumorabtragungen (Rektumvorderwand), Hämorrhoidenoperationen mittels Stapler, aber auch Eingriffe bei Beckenbodenfunktionsstörungen (Senkung, Rektumprolaps, Rektozele, Inkontinenz) mittels Stapler oder Netzimplantation
- Vermehrte postoperative Fistelbildungen nach Stapler-Hämorrhoidopexie, i. d. R. durch Mitfassen der vaginalen Hinterwand (3, 8, 17, 30, 31, 32, 53, 63), nach technisch aufwendigen Eingriffen wie STARR („stapled transanal rectal resection“) bzw. TRANSTAR („transanal stapled resection“) (7, 27, 58, 62, 63, 64, 78) sowie nach Netzimplantationen bei der Behandlung von Beckenbodenstörungen (14, 35)
Symptomatik und Diagnostik
Die Diagnose einer rektovaginalen Fistel beruht auf Anamnese und klinischer Untersuchung (44): Luft- und Schleimabgang, ggf. auch Stuhlverlust über die Scheide. Fragen nach Voroperationen und geburtshilfliche Komplikationen sind unerlässlich wie auch nach der psychischen Belastung der betroffenen Frauen.
Der weitaus größte Teil der rektovaginalen Fisteln ist auf Höhe der Linea dentata lokalisiert und kommuniziert mit dem posterioren vaginalen Fornix. Die Fistel verläuft meist leicht gebogen am Oberrand des Sphinkters. Bei der klinischen Untersuchung müssen Rektum und Scheide eingesehen werden. Vor operativen Maßnahmen und insbesondere bei unklaren Befunden ist eine weitergehenden Diagnostik erforderlich: Koloskopie, CT, MRT. Der Nachweis von Sphinkterläsionen kann bei entsprechender Erfahrung sehr gut per Endosonographie erfolgen und sollte die rektal-digitale Untersuchung und die Manometrie ergänzen (77, 79).
Therapieverfahren
Eine suffiziente Behandlung rektovaginaler Fisteln erfordert immer ein operatives Vorgehen, stellt jedoch eine chirurgische Herausforderung dar. Das Vorgehen entspricht überwiegend dem bei hohen transsphinkterer Analfisteln.
Entscheidenden Einfluss auf die Therapiewahl haben die lokalen Gegebenheiten wie Lokalisation, Fistelgröße und Gewebsverhältnisse wie Entzündungen und Sphinkterläsionen (71). Häufigstes Verfahren stellt die Fistelexzision mit Sphinkternaht und Verschluss des Rektumdefekts durch einen Verschiebelappen dar.
Pinto et al. stellten 2010 eine Übersicht über die diversen Verfahren zusammen (66). Der initiale Erfolg („Fistelheilung“) liegt bei nahezu allen Verfahren im ersten Anlauf lediglich bei 60 % und zeigt deutliche Unterschiede hinsichtlich der Fistel-Ätiologie. Rektovaginale Fisteln, die postpartal oder als Operationsfolgen auftraten, konnten in bis zu 70 % der Fälle geheilt werden, Crohn-Fisteln lediglich in 44 % der Fälle. Wiederholungseingriffe sind zur definitiven Fistelheilung somit keine Seltenheit.
Endorektaler Verschluss
Der endorektale Verschluss rektovaginaler Fisteln besteht aus einer transanalen Fistelexzision mit Sphinkternaht und anschließender Deckung der Naht durch einen Verschiebelappen („Flap“) aus Mukosa-Submukosa oder Rektumvollwand, in vereinzelten Fällen auch durch einen Anoderm-Verschiebelappen. Das Verfahren wurde 1969 von Belt (9) beschrieben und entspricht dem Prinzip der Flaptechnik bei hohen Analfisteln (61). Die Erfolgsraten des Verfahrens liegen zwischen 50 und 70 %.
Transperinealer Verschluss
Beim transperinealen Verfahren erfolgt der Zugang über das Spatium rectovaginale. Nach Ablösung des Rektums von der Vagina wird die getrennte Defektversorgung von Rektumvorderwand und Vaginalhinterwand durchgeführt sowie anschließend das rektovaginale Septum durch Adaptation der Levatorschenkel augmentiert. In gleicher Sitzung kann eine evtl. erforderliche Sphinkterplastik durchgeführt werden (54, 71, 84), worin die größte Bedeutung des Verfahrens liegt.
Nachteilig ist die relativ große Dammwunde verbunden mit der Gefahr von Wundheilungsstörungen. Die Heilungsraten sind mit rund 80 % gut (21, 82), weshalb auch die Leitlinien das transperineale Verfahren zum Verschluss der Fistel und simultaner Sphinkterrekonstruktion empfehlen.
Wundkontrolle und perioperative Komplikationen
Als unmittelbare Komplikationen sind Nachblutungen und Harnverhalt zu nennen, wobei diese Komplikationen nach Hämorrhoidaleingriffen weitaus häufiger sind. Ursächlich für einen postoperativen Harnverhalt sind eine insuffiziente Schmerztherapie sowie eine zu hohe intravenöse Flüssigkeitszufuhr (83, 90). Es besteht die Gefahr von lokalen Infektionen mit sekundärer Dehiszenz angelegter Nähte, weshalb auf eine ausreichende Drainage tieferer Wundanteile zu achten ist. Postoperativ sollte der Stuhl weich gehalten werden, z.B. durch Einnahme eines milden Laxans.
Zu den relevanten postoperativen Komplikationen gehört die Dyspareunie durch Einengung der Scheide oder Narbenbildung (86), wovon rund 25 % der sexuell aktiven Patientinnen betroffen sind (21, 91).
Stomaanlage
Im Rahmen der Analfistelchirurgie ist die Anlage eines Stomas eher selten, erfolgt bei rektovaginalen Fistel hingegen deutlich häufiger. Das operative Vorgehen bei rektovaginalen Fisteln an sich stellt keine zwingende Indikation zur Stomaanlage dar, vielmehr sollte diese befundbezogen gestellt werden. Betroffen sind in erster Linie Patientinnen mit einer ausgeprägten Destruktion des Analkanals und daraus resultierender Stuhlinkontinenz. Bei Fisteln nach Rektumanastomosen sowie bei Crohn-Fisteln sollte die Indikation eher großzügig gestellt werden (11, 20, 28, 48, 81, 87, 88).