Definitionen
Unter Adipositaschirurgie versteht man operative Eingriffe, durch die über eine nachhaltige Gewichtsreduktion eine Verbesserung der Komorbiditäten bzw. deren Prophylaxe und eine Verbesserung der Lebensqualität erreicht werden soll. Haben die operativen Eingriffe das primäre Ziel, die glykämische Stoffwechsellage bei vorbestehendem Diabetes mellitus Typ 2 zu verbessern, spricht man von metabolischer Chirurgie.
Die Klassifikation der Adipositas nach WHO beruht auf dem Body Mass Index (BMI): Körpergewicht dividiert durch Körpergröße im Quadrat (kg/m²). Für Europäer teilt man die Adipositas ein in
- Grad I (BMI 30–34,9 kg/m²
- Grad II (BMI 35–39,9 kg/m²
- Grad III (BMI ≥40 kg/m²
Adipositas ist multifaktoriell bedingt; letztlich führt eine positive Energiebilanz zu einer Speicherung übermäßig zugeführter Energie hauptsächlich in das Fettgewebe und die Leber. Eine Gewichtsreduktion geht u.a. mit einer Verbesserung von Insulin-Resistenz, Blutzucker, Blutdruck, Blutfetten, gastroösophagealem Reflux, Harninkontinenz, Gonarthrose, Wirbelsäulenbeschwerden, Intertrigo, Infertilität, obstruktivem Schlaf-Apnoe-Syndrom, Asthma und einer Verminderung des Risikos für bestimmte Krebserkrankungen einher.
Indikationen für Adipositas- bzw. metabolische Chirurgie
Eine nachhaltige Gewichtsreduktion zur Besserung von Komorbiditäten und der Lebensqualität sind bei höhergradiger Adipositas durch eine Ernährungs-, Bewegungs-, Verhaltens- und Pharmakotherapie allein oder in Kombination möglich, werden aber häufig nicht erreicht [1 - 4]. Im Vergleich zu den konservativen Maßnahmen zur Gewichtsreduktion allein oder in Kombination ist eine chirurgische Therapie wesentlich effektiver und erreicht in der Regel das angestrebte Therapieziel [5 - 12].
Die Indikation für einen adipositaschirurgischen Eingriff ist unter folgenden Bedingungen gegeben [13 - 16]:
1. BMI ≥ 40 kg/m² ohne Begleiterkrankungen und ohne Kontraindikationen nach Erschöpfung der konservativen Therapie.
2. BMI ≥ 35 kg/m² mit einer oder mehreren Adipositas-assoziierten Begleiterkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 2, koronare Herzerkrankung, Herzinsuffizienz, Hyperlipidämie, arterieller Hypertonus, Nephropathie, obstruktives Schlafapnoe-Syndrom, Adipositas-Hypoventilationssyndrom, Pickwick Syndrom, nicht alkoholische Fettleber oder nicht alkoholische Fettleberhepatitis, gastroösophageale Refluxerkrankung, Asthma, chronisch venöse Insuffizienz, Harninkontinenz, immobilisierende Gelenkerkrankung, Einschränkungen der Fertilität oder polyzystisches Ovarialsyndrom.
3. Primärindikation zu einem adipositaschirurgischen Eingriff ohne vorangegangenen konservativen Therapieversuch, wenn eine der folgenden Bedingungen gegeben ist:
- BMI ≥ 50 kg/m²
- Konservativer Therapieversuch wird durch das multidisziplinäre Team als nicht erfolgsversprechend bzw. aussichtslos eingestuft.
- Bei Patienten mit besonderer Schwere von Begleit- und Folgeerkrankungen, die keinen Aufschub eines operativen Eingriffs erlauben.
Eine Primärindikation im Sinne der metabolischen Chirurgie kann gestellt werden bei BMI ≥ 40 kg/m² und koexistierendem Diabetes mellitus Typ 2, wenn als Behandlungsziel die Besserung der glykämischen Stoffwechsellage mehr im Vordergrund steht als die Gewichtsreduktion. Zur Stellung der Operationsindikation ist bei diesen Patienten der Nachweis einer ausgeschöpften konservativen Therapie im Sinne der Adipositaschirurgie nicht erforderlich [17, American Diabetes Association 2017].
Kontraindikationen für Adipositas- bzw. metabolische Chirurgie
Bei folgenden Erkrankungen und Zuständen gilt die Adipositas- bzw. metabolische Chirurgie - trotz aktuell fehlender Evidenz - als kontraindiziert:
1. Instabile psychopathologische Zustände, unbehandelte Bulimia nervosa, aktive Substanzabhängigkeit.
2. Konsumierende Grunderkrankungen, maligne Neoplasien, unbehandelte endokrine Ursachen, chronische Erkrankungen, die sich durch einen postoperativen katabolen Stoffwechsel verschlechtern.
3. Vorliegende oder unmittelbar geplante Schwangerschaft.
Können die genannten Erkrankungen und Zustände erfolgreich behandelt werden, sollte eine Re-Evaluation erfolgen.
Keine Kontraindikationen stellen dar:
- höheres Lebensalter (≥ 65 Jahre) [18]
- chronisch entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa [19]
- bestehender Kinderwunsch [20]
- Typ 1 Diabetes [21]
Operative Verfahren
Zu den effektiven operativen Verfahren zur Therapie der Adipositas und ihrer Komorbiditäten gehören:
- Schlauchmagenbildung („Sleeve-Gastrektomie“, SG)
- proximaler Roux-en-Y Magenbypass (pRYGB)
- Omega-Loop-Magenbypass (MGB)
- biliopankreatische Diversion mit/ohne Duodenal Switch ( BPD bzw. BPD-DS)
Ein für alle Patienten pauschal zu empfehlendes Operationsverfahren existiert nicht, vielmehr sollte sich die Verfahrenswahl individuell an den medizinischen, psychosozialen und allgemeinen Lebensumständen des Patienten orientieren [22]. Die aktuelle Evidenz erlaubt keine Definition eines operativen “Goldstandards” als Primäreingriff in der Adipositas- und der metabolischen Chirurgie.
Bei Patienten mit Extremformen der Adipositas (BMI > 50 kg/m²) und/oder erheblicher Komorbidität können Stufenkonzepte erwogen werden, z. B. zunächst Sleeve-Gastrektomie, dann Magenbypass, um das perioperative Risiko zu senken [23]. Alle Eingriffe sollten idealerweise laparoskopisch durchgeführt werden.
1. Schlauchmagen („Sleeve-Gastrektomie“, SG)
Die SG wurde initial bei der biliopankreatischen Diversion mit Duodenal Switch (BPD-DS) zur zusätzlichen Nahrungsrestriktion und zur Ulkusprophylaxe etabliert. Mittlerweile hat sie sich als eigenständiges OP-Verfahren durchgesetzt. Erstmals beschrieben wurde die SG 1993 von Marceau [24]. Die SG ist auch als Erstoperation eines Stufenkonzepts bei extremer Adipositas sehr gut geeignet, da der Schlauchmagen bei Bedarf problemlos in einen Roux-en-Y Magenbypass, einen Omega-Loop-Magenbypass oder einen postpylorischen Bypass umgewandelt werden [25] kann.
Der Übergewichtsverlust 2 Jahre nach SG unterscheidet sich nicht signifikant vom Gewichtsverlust nach pRYGB. Nach 5 Jahren liegt der Gewichtsverlust nach SG bei rund 50 %, die Remissionsrate des Diabetes mellitus Typ 2 bei 58 % [26 – 30]. Im Vergleich zum Magenbypass weist die SG teilweise signifikant weniger perioperative Komplikationen auf. Die Morbidität nach SG wird mit 7 - 8 % angegeben [15, 29, 31, 32, 33]. In großen Zentren liegt die Letalität bei weit unter 1 % [15]. Die häufigsten Komplikationen sind Fisteln der Klammernahtreihe, Abszesse oder Nachblutungen.
Klare Kontraindikationen für die SG existieren aktuell nicht. Lediglich bei präoperativ nachgewiesenem symptomatischem und/oder therapierefraktärem gastroösophagealen Reflux sollte die Indikation kritisch gesehen werden [29].
2. Proximaler Roux-en-Y Magenbypass (pRYGB)
Der pRYGB wurde in der Vergangenheit als Goldstandard der Adipositas- bzw. metabolischen Chirurgie bezeichnet und wurde erstmals 1967 und 1969 von Mason und Ito initial mit relativ großem Pouch-Volumen beschrieben. Heutzutage wird er in der laparoskopischen Modifikation von Wittgrove aus den 1990er Jahren mit sehr kleinem Pouch (< 15 cm ³) durchgeführt [34, 35].
Der pRYGB bietet hinsichtlich Gewichtsreduktion und Remission eines vorbestehenden Diabetes mellitus Typ 2 sehr gute Langzeitergebnisse. In der Meta-Analyse von Chang et al. betrug die durchschnittliche Gewichtsreduktion nach pRYGB im Vergleich zu konservativ behandelten Kontrollpersonen 14 BMI-Punkte, Yu et al. ermittelten 12,6 BMI-Punkte [36, 37]. Nach 5 Jahren ist mit einem Übergewichtsverlust von 60 - 65 % zu rechnen. Das Verfahren führt durchschnittlich in 75 % zur Remission eines vorbestehenden Typ 2 Diabetes [16, 37]. In der Meta-Analyse von Chang et al. [36] wird für den pRYGB eine Mortalität von unter 1 % angegeben, die Morbidität beträgt 21 % und die Reoperationsrate 3 %. Der pRYGB hat somit eine höhere postoperative Morbidität und Reoperationsrate verglichen mit dem SG, die Inzidenz schwerer Komplikationen ist vergleichbar. Bezüglich der Wirksamkeit beim T2DM ist der pRYGB der SG überlegen.
3. Omega-Loop-Magenbypass (MGB)
Der Mini Gastric Bypass, kurz MGB, wurde erstmals 1997 von Rutledge durchgeführt und gilt als sicheres und effektives Verfahren in der Adipositas- bzw. metabolischen Chirurgie. Das Prinzip des MGB ist die Bildung eines langen kleinkurvaturseitigen Magen-Pouches kombiniert mit einer biliären Dünndarmschlinge, deren Länge variieren kann. Im Regelfall hat sie eine Länge vom Treitz’schen Ligament bis zur Gastrojejunostomie von 200 cm. In Abhängigkeit vom Schweregrad der Adipositas werden auch längere biliäre Schenkel (250-300 cm) gewählt. Bei starker Adipositas wird eine Länge von 250 cm, bei älteren Patienten und Vegetariern wird eine Länge von 180-200 cm und bei Typ2 Diabetikern ohne massive Adipositas eine Länge von 150 cm empfohlen.
Die Konversionsrate vom laparoskopischen zum offenen Verfahren liegt zwischen 0 und 1,23 % [22]. Der Gewichtsverlust des MGB liegt bei einer Reduktion des BMI von 11,3 kg/m² bzw. einem Übergewichtsverlust zwischen 61 und 69 % nach 12 Monaten und 72,9 und 77 % nach 5 Jahren von [22, 38, 39]. Für den Typ 2-Diabetes werden Remissionsraten zwischen 51 und 100 % angegeben [39]. Gewichtsverlust und Typ 2- Diabetes-Remissionsrate sind nach MGB größer als nach einem pRYGB [39].
Die Anzahl der postoperativen Komplikationen nach MGB liegt zwischen 0-28,6 %. Am häufigsten sind Blutungen, die eine endoskopische oder operative Intervention benötigen (02, - 28,6 %), und Anastomosenulzera (1 – 14,3 %). Die Mortalitätsrate liegt bei 0 - 0,5 % [38].
4.1 Biliopankreatische Diversion (BPD)
Die BPD wurde in den 1970er Jahren von Scopinaro entwickelt [40, 41] und trennt ähnlich wie beim pRYGB Nahrungspassage und Verdauungssekrete unter Umgehung des Duodenums. International gilt die BPD als Standardverfahren, hat sich allerdings zahlenmäßig in Deutschland kaum durchgesetzt.
In der Meta-Analyse von Panunzi et al. zeigte sich, dass dieses malabsorptive Operationsverfahren die höchsten Remissionsraten bei vorbestehendem Diabetes mellitus Typ 2 unter allen bariatrischen Operationsverfahren aufweist [16]. Die Diabetes-Remission konnte bei 89 % der Patienten nach BPD, bei 77 % der Patienten nach pRYGB und bei 60 % der Patienten nach SG erzielt werden. Ähnliche Ergebnisse wurden auch von Müller-Stich et al. und Mingrone et al. beschrieben [12, 42]. Gleiches gilt für die Übergewichtsreduktion, allerdings existieren hierzu keine hochwertigen Daten.
Die perioperative Mortalitätsrate wird in der Meta-Analyse von Panunzi et al. mit 0,8 % für die BPD angegeben. Das BPD basiert überwiegend auf dem Wirkprinzip der Malabsorption mit starken Fettstühlen, was zwangsläufig zu verminderter Nährstoffresorption führt wie z. B. fettlöslichen Vitaminen. In verschiedenen Studien wurde ein signifikanter Abfall von Vitamin A und E bei bis zu 40 % der Patienten beobachtet. Vitamin D-Mangelzustände treten in bis zu 61 % der Fälle nach BPD auf, Eisen- und Ferritin-Defizite in bis zu 16 % und Zink-Defizit in 40 - 68 % [43]. In einem systematischen Review von Rodriguez-Carmona et al. Konnte nachgewiesen werden, dass die Knochendichte nach BPD erheblich abnehmen kann, was ein erhebliches Risiko für die Ausbildung von Spontanfrakturen birgt [44].
Malabsorptive Operationsverfahren führen auch zu einer eingeschränkten Aufnahme und zu einem verminderten Wirkeffekt therapierelevanter Medikamente [45].
Die Gesamtkomplikationsrate nach laparoskopischer biliopankreatischer Diversion beträgt bis zu 25 % (Insuffizienzen der gastralen Klammernaht, Duodenalstumpfinsuffizienzen, Narbenhernien, Strikturen der Duodenojejunostomie) [46]. In einer retrospektiven Beobachtungsstudie wurde nach BPD ein deutlich höherer Prozentsatz notwendiger postoperativer Intensivaufenthalte und orotrachealer Intubationsbehandlungen (30,5 %) als nach Magenbypass und Schlauchmagenbildung (12 %) festgestellt. Die Mortalitätsrate betrug für die BPD 6 %, wohingegen für SG und pRYGB kein Todesfall berichtet wurde [47].
4.2 Biliopankreatische Diversion mit Duodenal Switch (BPD-DS)
Die BPD-DS ist eine komplexe Operation, die eine Restriktion (Schlauchmagenbildung) mit einer Malabsorption (postpylorische Roux-en-Y-Rekonstruktion) verbindet.
Sie wurde zunächst als offene Operation 1988 von Douglas Hess durchgeführt [48]. Aufgrund der guten Ergebnisse (nachhaltige Gewichtsreduktion, hohe Remissionsrate eines vorbestehenden Typ 2 Diabetes) konnte sich der Eingriff etablieren und wurde von Michael Gagner erstmals laparoskopisch vorgenommen [49].
Mittlerweile ist der BPD-DS allerdings ein weltweit eher wenig durchgeführter Eingriff und macht allenfalls 2 % aller adipositaschirurgischer bzw. metabolischer Eingriffe aus [50]. Ursächlich dürften die im Vergleich zu anderen Eingriffen deutlich erhöhte perioperative Morbidität und Mortalität sein sowie postoperative Mangelerscheinungen, die trotz Substitution aufgrund der ausgeprägten Malabsorption in einem hohen Prozentsatz auftreten können [15, 51, 52, 53].