Amputationstechniken der unteren Extremität bei Patienten mit AVK
Epidemiologie
In Deutschland ist in den Jahren 2005 bis 2011 die Zahl der stationären Behandlungsfälle von Patienten mit amputationsbedrohter Extremität von 110.345 auf 132.889 Fälle gestiegen. Durch den Anstieg der offenen und endovaskulären Gefäßrekonstruktionen betrug die relative Abnahme der Majoramputationen 32,4 %, die relative Zunahme der Minoramputationen 16,7 % [1]. Jährlich werden in Deutschland ca. 25.000 Majoramputationen durchgeführt, von denen etwa 70 % Patienten mit Diabetes mellitus betreffen, die ein rund 10-fach erhöhtes Risiko für eine Amputation haben [2, 3].
Ätiologie
Die häufigsten Ursachen für eine Amputation sind die AVK Stadium III mit intensiven Ruheschmerzen sowie im Stadium IV mit Nekrosen und Ulzerationen, sofern keine Verbesserung der Perfusion möglich ist, die Schmerzen therapierefraktär sind oder aber der Allgemeinzustand des Patienten eine gefäßchirurgische Intervention nicht erlaubt. Eine kritische Beinischämie kann ein Multiorganversagen verursachen und damit ebenfalls eine Indikation zur Amputation darstellen. Weitere Indikationen sind akute, nicht beherrschbare Infekte, Traumata, Osteomyelitis, Tumoren und kongenitale Fehlbildungen [2, 4].
Definitionen
An der unteren Extremität werden Major-, Minor- und Grenzzonenamputationen unterschieden:
Majoramputation
- Amputation proximal des Knöchels
- z. B. Hüftgelenkexartikulation, Oberschenkelamputation, Kniegelenkexartikulation, Unterschenkelamputation, Amputation nach Syme
Minoramputation
- Amputation im Fußbereich
- z. B. Amputation nach Pirogoff-Spitzy, Chopart und Lisfranc, die transmetatarsale Vorfußamputation, Zehenamputationen
Grenzzonenamputation
- Amputation direkt am Rand der Nekrose im Gesunden
- häufig bei Diabetikern und AVK [5]
Im DRG-Abrechungssystem wird die transmetatarsale Vorfußamputation bereits zu den Majoramputationen gerechnet und nur die Zehenamputation bzw. Strahlresektion zu den Minoramputationen [2, 6].
Wahl der Amputationshöhe
Die Amputationshöhe richtet sich nach der Gefäßsituation, dem Gewebeschaden und der Mobilität des Patienten. Eine gute Wundheilung setzt genug vitales Gewebe voraus, so dass die Amputationshöhe nicht selten intraoperativ gefällt werden muss. Ziel ist eine definitive Lösung – so viel wie nötig, so wenig wie möglich. Eine transkutane pO2-Messung kann bei der Festlegung der Amputationsebene helfen.
Eine Amputation sollte so weit distal wie möglich erfolgen, denn je länger ein Stumpf, desto besser sein biomechanischer Hebel (Ausnahme: bettlägerige Patienten). Die Endbelastbarkeit des Stumpfs ist für die Weiterleitung von propriozeptiven Informationen wichtig, was am besten bei Amputationen durch spongiösen Knochen oder bei Exartikulationen erzielt wird [4, 7].
Minor und Grenzzonenamputation
Amputationen im Fußbereich haben aufgrund der erhaltenen Sohle den Vorteil einer hohen Endbelastbarkeit des Restfußes. Denn je mehr Sohlenfläche erhalten bleibt, desto geringer ist die Druckzunahme pro Quadratzentimeter und umso besser ist die Propriozeption und das damit verbundene sichere Gehen und Stehen. Allerdings können Teilamputationen im Fußbereich zu Muskeldysbalancen und damit zu Fehlstellungen des Fußes führen, besonders Varus- und Spitzfußstellungen, was Druckstellen und Ulzerationen zur Folge haben kann [7].
Bei den (Teil-)Amputationen der Zehen handelt es sich häufig um Grenzzonenamputationen, die nach Demarkierung der Nekrose im Gesunden mit entsprechender Kürzung oder Exartikulation der Knochen durchgeführt werden. Dabei kann sich die Resektionslinie an anatomisch vorgegebenen Amputationslinien orientieren (z. B. Exartikulation) oder richtet sich nach der Ausdehnung der Nekrose ohne spezifische anatomische Korrelation. Knochensplitter, Absetzungskanten und bradytrophes Gewebe (z. B. Sehnenreste) müssen entfernt werden, Kapsel benachbarter Gelenke gilt es zu schonen. Ob ein primärer Wundverschluss erfolgt, hängt von der jeweiligen Infektsituation ab [7].
Bei „inneren Amputationen“ wird der betroffene Mittelfuß- oder Fußwurzelknochen über einen Zugang am Fußrücken reseziert, die Zehen bleiben dabei erhalten, retrahieren sich mit der Zeit, bilden Falschgelenke oder dienen als Platzhalter [7].
Vorfußamputationen
Bei den transmetatarsalen Amputationen erfolgt der Hautschnitt meistens am Fußrücken, um die Sohle zu schonen. Ziel ist ein möglichst langer plantarer Lappen. Nach Freilegung der Mittelfußknochen werden diese derart durchtrennt, dass die Knochenstümpfe harmonisch aufeinander abgestimmt sind. Um eine endbelastbare Spitze zu erhalten, müssen die Knochen umso mehr abgerundet werden, je kürzer der Stumpf ist.
Bei der Lisfranc-Amputation ist die Schnittlinie fischmaulförmig. Für den plantaren Lappen wird die Sohle vom Knochen abgelöst und zwischen Tarsus (Ossa cuneiforme und Os cuboideum) und der Basis der Mittelfußknochen exartikuliert. Der Wundverschluss erfolgt über Drainagen mit einer spannungsfreien Einzelknopfnaht [7].
Amputationen des Rückfußes
Hierzu zählen die Techniken nach Chopart, Pirogoff-Spitzy sowie Syme. Gemeinsames Prinzip ist der Erhalt der Fersenhaut, so dass der Stumpf eine funktionsfähige Sohle erhält und endbelastbar wird [8].
Bei der Chopart-Amputation erfolgt die Absetzungslinie distal von Kalkaneus und Talus über einen Hautschnitt ca. 1 cm distal der Malleolen quer über dem Rückfuß. Die Inzision wird in Richtung Fußsohle so weitergeführt, dass ein ausreichend großer Lappen zum spannungsfreien Wundverschluss entsteht. Nachteilig ist die spätere Muskeldysbalance, die zu einer Varus- und Supinationsfehlstellung des Restfußes führen kann [7, 8].
Bei der Technik nach Pirogoff-Spitzy werden der Talus und die Malleolen reseziert und der Kalkaneus mit Tibia und Fibula osteosynthetisch fusioniert. Bei Patienten mit AVK sollte diese Technik wegen der erforderlichen Osteosynthese nicht durchgeführt werden [7, 9].
Die technisch recht anspruchsvolle Amputation nach Syme entspricht einer Exartikulation im Sprunggelenk i.S. einer supramalleolären Amputation mit Abrundung der Knöchelspitzen. Großer Vorteil sind die volle Endbelastbarkeit bei langem Unterschenkelhebelarm und ein nahezu ungestörtes Gangbild bei guter Prothesenversorgung. Im Gegensatz zur Pirogoff-Technik erfolgt keine Osteosynthese, sodass sie gerade auch für AVK-Patienten und Diabetiker geeignet ist [7, 9].
Unterschenkelamputation
Die Unterschenkelamputation setzt einen ausreichend großen myokutanen dorsalen Lappen für die Stumpfdeckung voraus. Während kleine Nekrosen im Bereich des dorsalen Lappens eine Unterschenkelamputation nicht ausschließen, ist sie bei großflächigen Nekrosen unabhängig von der arteriellen Durchblutung unmöglich.
Neben der Endbelastbarkeit sind die Stumpflänge sowie der Erhalt des Kniegelenks für die Mobilisation wichtig. Bei bettlägerigen Patienten mit Kniegelenkkontrakturen ist eine Unterschenkelamputation nicht sinnvoll. Zur Streckung des Stumpfs im Kniegelenk ist bereits die proximale Hälfte der Tuberositias tibiae ausreichend und ein kurzer Stumpf von 3-5 cm kann prothetisch versorgt werden. Dennoch ist ein längerer Unterschenkelstumpf zu bevorzugen, da eine größtmögliche Kontaktfläche der Prothese zur besseren Druckverteilung führt. Optimal ist eine Stumpflänge der Tibia von 12-13 cm. Weiter distal reicht die schmächtige Muskulatur für eine suffiziente Stumpfdeckung nicht aus, es treten vermehrt Wundheilungsstörungen und unterkühlte Stümpfe auf [4, 7]. Bei der AVK hat sich das proximale Drittel als Amputationshöhe bewährt.
Kunststoff-Bypässe im Wundbereich sollten bei Infektverdacht vollständig entfernt werden (ggf. proximale Anastomose mit Patch versehen), ohne Infekt werden sie möglichst weit proximal abgesetzt.
Kniegelenkexartikulation
Vorteile der Kniegelenkexartikulation sind die Endbelastbarkeit des Stumpfes, die minimierte Gefahr einer Inaktivitätsosteoporose durch den Erhalt der Knorpelfläche und die optimale Übertragung sensomotorischer Informationen des Stumpfendes. Nachblutungen, Hämatome und Exostosen treten im Vergleich zur Oberschenkelamputation seltener auf, da keine Muskulatur oder Knochen durchtrennt werden. Allerdings ist die Gefahr von Wundheilungsstörungen und Stumpfnekrosen größer, da der Stumpf nur von Vollhaut bedeckt ist. Reichen die vorhandenen Weichteile nicht für die Stumpfdeckung aus, kann eine transkondyläre Amputation mit Patellaresektion vorgenommen werden. Nachteilig ist, dass durch den entfernten Knorpel Infektgefahr und Blutverlust größer sind als bei der Exartikulation [7].
Die Hautinzisionen für die Lappen sind so zu wählen, dass die Narbe möglichst außerhalb der Belastungszone zu liegen kommt. Die Haut im Kniebereich ist sehr elastisch und retrahiert sich stärker als üblich. Am einfachsten ist der zirkuläre Hautschnitt 5-7 cm distal vom Tibiaplateau. Die Narbe kommt in der Längsrichtung zwischen die Kondylen zu liegen. Bei langem dorsalem Weichteillappen liegt die Narbe vorn wie bei der Unterschenkelamputation.
Oberschenkelamputation
Oberschenkelamputationen sind Amputationen im Bereich der Femurdiaphyse. In ihrer Funktionalität sind sie Amputationen im Kniebereich unterlegen, da die Rehabilitationsaussichten deutlich schlechter sind, weshalb sie nur dann erfolgen sollte, wenn eine Amputation weiter distal nicht mehr möglich ist oder bei Bettlägerigkeit [7].
Damit ein spannungsfreier Stumpf resultiert, werden in der Regel zwei symmetrische Haut-Muskel-Lappen in der Frontalebene gebildet, die sich in einem Winkel von 70-90° treffen („Fischmaul“). Nach der Hautinzision erfolgt die Lappenbildung mittels Amputationsmesser in einem Zug. Nach resorbierbarer Ligatur der Gefäße wird der Femur ca. 2 cm distal des Lappenwinkels durchtrennt, die Knochenkanten geglättet und der N. ischiadicus etwa 5 cm weiter ligiert und gekürzt.
Zur postoperativen Schmerzlinderung kann der Nerv mit einem Lokalanästhetikum (z. B. 5–10 ml Carbostesin 0,5 %) infiltriert werden [6, 10]. In den ersten 48 Stunden können die postoperativen Schmerzen auch durch eine Infusion mit einem langwirksamen Lokalanästhetikum an den Nervenstumpf signifikant gemindert werden. Das Auftreten von Phantomschmerzen wird dadurch allerdings nicht beeinflusst [11, 12].
Hüftexartikulation und ultrakurze Oberschenkelamputation im Schenkelhalsbereich
Hüftexartikulationen und ultrakurze Oberschenkelamputationen, die erst dann indiziert sind, wenn die Amputationsmöglichkeiten weiter distal erschöpft sind, werden bei der AVK selten durchgeführt, ursächlich sind vor allem Tumoren und Traumata. Bei AVK-Patienten kann die Weichteildeckung zu einer Herausforderung werden, da meist die Beckenstrombahn verschlossen ist, was zu großflächigen Nekrosen und Dekubiti führt. Die prothetische Versorgung des ultrakurzen Oberschenkelstumpfs ist durch das erhaltene Trochantermassiv schwieriger, allerdings ist das Sitzen für den Patienten einfacher.