Das Konzept des „tension-free repair“ bei der offenen Versorgung von Leistenhernien mit einer Netzimplantation wurde schnell weltweit angenommen, nachdem es 1986 von Irving L. Lichtenstein veröffentlicht wurde [15]. Die Lichtenstein-Operation ist derzeit das offene Netzverfahren, das weltweit am häufigsten zur Versorgung von Leistenbrüchen verwendet wird [17, 26, 27].
Die Lichtenstein-Operation kann bei Bedarf in Lokalanästhesie durchgeführt werden und ist technisch und apparativ weniger aufwendig als die laparoskopischen Verfahren. Das Lichtenstein-Verfahren ist auch zur Versorgung großer Skrotalhernien gut geeignet. Bilaterale Hernien, Schenkelhernien und Rezidivhernien nach offener Versorgung sollten laparoskopisch versorgt werden [6, 7, 17, 26, 27].
Bezüglich des Netzmaterials, der Netzgröße und Fixierung hat es in den letzten Jahren verschiedene Modifikationen gegeben, deren Ziel die Reduzierung postoperativer Schmerzen ist [2 - 5, 9, 15, 16, 18, 22, 23].
Nervenmanagement
Die postoperative Schmerzvermeidung erfordert fundiertes Wissen über die Nervenanatomie [21, 20, 28]. Während des Eingriffs müssen die Leistennerven im Auge behalten und möglichst geschont werden [21, 26, 27]. Kommt es bei der Präparation zu einer Nervenläsion oder behindert der Nervenverlauf die Netzplatzierung, sollte eine Neurektomie erfolgen. Die Leistennerven sollten dargestellt, dabei aber in ihrer natürlichen Einbettung belassen werden, was in > 95 % der Fälle beim N. iliohypogastricus und dem Ramus genitalis des N. genitofemoralis möglich ist.
Ein signifikanter Risikofaktor für chronische Schmerzen bei der Lichtenstein-Operation ist die Mobilisation des N. ilioinguinalis mit Nervenerhalt, was anhand einer prospektive Langzeit-Follow-up-Studie an 781 Patienten mit primären Leistenbrüchen gezeigt werden konnte [21]. Nerven, die durch die Präparation, Narbengewebe oder eine Bruchgeschwulst geschädigt wurden, oder Nerven, die aus ihrer natürlichen Einbettung herausgelöst wurden, sollten durch eine Neurektomie entfernt werden. Nach der Infiltration mit einem langwirksamen Lokalanästhetikum sollte der Nervenstumpf in der Bauchdecke versenkt werden, damit er nicht narbig mit dem Kunststoffnetz verwachsen kann. Es existiert keine Evidenz, ob der Nervenstumpf einfach durchtrennt, ligiert oder koaguliert werden sollte [27].
Netzversorgung
Gemäß internationalen Leitlinien werden heute großporige Netze aus monofilem nichtresorbierbarem Kunststoff (Polypropylen, Polyvinylidenfluorid oder Polyester) empfohlen. Die Porengröße scheint für die Integration von Gewebe und Vermeidung akuter und chronischer Schmerzen von größerer Bedeutung zu sein als das Gewicht [11, 17, 18, 26, 27].
Atraumatische Netzfixierung
In den letzten Jahren wurden verschiedene Techniken der Netzfixierung ohne Naht entwickelt, um postoperative Schmerzen und Blutungskomplikationen zu reduzieren. Hierzu gehören die Verwendung selbsthaftender Netze sowie die Netzfixierung mittels Cyanoacrylaten und Fibrinkleber.
Die verschiedenen Fixationsmodalitäten wurden in einem systematischen Review von 12 RCTs mit primären Leistenbruchoperationen im Jahr 1992 untersucht [23]. Es wurden keine Unterschiede bei den Rezidivraten festgestellt und in 9 Untersuchungen wurde kein signifikanter Unterschied bei den verschiedenen Netzfixationen hinsichtlich chronischer Schmerzen festgestellt [17, 22, 23].
Bei primären kleinen und mittelgroßen Leistenhernien verglich eine prospektiv randomisierte Multicenterstudie (TIMELI) die Fibrinklebung mit der herkömmlichen Nahtfixation. In der Fibrinklebergruppe fanden sich bei gleicher Rezidivrate signifikant weniger Schmerzen, Missempfindungen und Fremdkörpergefühle nach einem Monat, 6 Monaten und einem Jahr [9]. Cyanoacrylatklebung, selbsthaftende Netze und Nahtfixation ergaben in einer 2015 publizierten prospektiv randomisierten Multicenterstudie aus Finnland keinen Unterschied hinsichtlich Rezidive und postoperativer Schmerzen [22]. Die Ergebnisse der Cyanoacrylatklebung und Nahtfixation wurden von einer RCT mit einem 7-Jahres-Nachweis bestätigt.
Zusammenfassend wurde festgestellt, dass die atraumatische Netzfixierung im Vergleich zur Nahtfixation bei chronischen Schmerzen keinen Vorteil aufweist. Die atraumatische Fixierung scheint nicht mit höheren Rezidivraten verbunden zu sein [22, 23, 27].
Komplikationen
Nach der Lichtenstein-Operation ist der chronische Schmerz die häufigste Komplikation, die je nach Definition in 5–30 % der Fälle auftritt [6, 7, 8, 10, 12, 13, 14, 17, 19, 24 - 27]. Nervenschäden durch Verletzungen, Narbenbildung und Kontakt mit alloplastischem Material sind mögliche Ursachen. In 0,5–3 % der Fälle treten Nachblutungen auf, die eine Revision erfordern. In den meisten Untersuchungen liegen die Rezidiv- und Infektionsraten unter 1 % [6, 7, 8, 10, 12, 13, 14, 17, 19, 24 - 27]. Sehr seltene Komplikationen sind Hodenatrophie, Eingeweide- und Gefäßverletzungen. Die Sterblichkeitsrate nach elektiver Lichtenstein-Operation ist nicht höher als in der Allgemeinbevölkerung, steigt jedoch bei Notfalleingriffen mit Darmresektion auf mehr als 5 % [17,
Fazit
Die Lichtenstein-Operation wird in den Leitlinien der Europäischen Herniengesellschaft von 2009 und 2014 und den ersten Weltleitlinien zur Behandlung von Leistenbrüchen Erwachsener von 2016 als das derzeit beste offene Verfahren zur Versorgung primärer unilateraler Leistenhernien bei Erwachsenen empfohlen [17, 26, 27]. Nach der Lichtenstein-Operation sind die Rezidivraten deutlich geringer als nach Nahtverfahren (Bassini und Shouldice) und vergleichbar mit denen bei laparoskopischen Verfahren.
Die Lichtenstein-Hernioplastik ist mit mehr frühpostoperativen und chronischen Schmerzen verbunden als die TAPP- und TEP-Verfahren, aber mit weniger schwerwiegenden Eingeweideverletzungen [1, 6, 7, 8, 10, 12, 13, 14, 17, 19, 24, 25 - 27]. In einer Analyse des Herniamed-Registers mit rund 58.000 Patienten mit primären einseitigen Leistenhernien fanden sich nach einem Ein-Jahres-Follow-up nach Lichtenstein-Operation signifikant mehr chronische Ruhe- und Belastungsschmerzen als nach laparoskopischen Verfahren [13]. In Langzeit-Follow-up-Studien ist ein signifikanter Unterschied chronischer Schmerzen allerdings nicht mehr nachweisbar [17, 27].