Definition von Kolon- und Rektumkarzinom
Als Rektumkarzinome gelten nach dem internationalen Dokumentationssystem Tumoren, deren aboraler Rand bei der Messung mit dem starren Rektoskop 16 cm oder weniger von der Anokutanlinie entfernt ist [1, 2]. Unterschieden werden
- das untere Drittel (0–6 cm),
- das mittlere Drittel (6–12 cm) und
- das obere Drittel (12–16 cm) [3].
In den USA hingegen werden Tumoren bis 12 cm und weniger von der Linea anocutanea entfernt als Rektumkarzinome bezeichnet, oberhalb der 12 cm-Grenze zählen sie zu den Kolonkarzinomen [4].
Verkürzte TNM-Klassifikation der kolorektalen Karzinome [5]
Stadium | TNM | Infiltrationstiefe/Tumorausbreitung
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I | T1N0 | Submukosa
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T2N0 | Muscularis propria | |
II | T3N0 | Perirektales Gewebe: Mesorektum |
T4N0 | T4a Viszerales Peritoneum T4b Andere Organe/Strukturen
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III | N1/2 | N1a 1 regionäre Lymphknotenmetastase N1b 2–3 regionäre Lymphknotenmetastasen N1c Satelliten/Tumorknötchen im Mesorektum N2a 4–6 regionäre Lymphknoten N2b >6 regionäre Lymphknoten
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IV | M1 | M1a Metastasen auf ein Organ beschränkt (Leber, Lunge, Ovar, nichtregionäre Lymphknoten, keine Peritonealmetastasen) M1b Metastasen in mehr als einem Organ M1c Metastasen im Peritoneum mit/ohne Metastasen in anderen Organen |
Interdisziplinäre Tumorkonferenz
Wegen der komplexen Therapie sollen möglichst alle kolorektalen Karzinome vor der Therapie (z. B. Operation, Chemotherapie) in einer interdisziplinären Tumorkonferenz vorgestellt werden, um ein gemeinsames Behandlungskonzept zu erstellen. In einer Studie aus Großbritannien konnten das Überleben der Patienten dadurch signifikant gesteigert werden [6].
Eine prätherapeutische Konferenz wird besonders empfohlen bei
- jedem Rektumkarzinom
- jedem Kolonkarzinom im Stadium IV
- Fernmetastasen
- Lokalrezidiven
- vor jeder lokal ablativen Maßnahme
Beim Rektumkarzinom kann somit z. B. geklärt werden, ob eine neoadjuvante Radiochemotherapie erfolgen sollte. Auch konnte in einer Studie die Rate an befallenem zirkumferentiellen Rand im OP-Präparat durch prätherapeutische Fallbesprechungen deutlich gesenkt werden [7]. Liegen bereits Fernmetastasen vor, kann geklärt werden, ob ein palliatives/ablatives Konzept durchgeführt wird oder die Fernmetastasen (z. B. Lebermetastasen) ein- oder zweizeitig reseziert werden. Patienten mit Fernmetastasen, bei denen primär eine Chemotherapie eingeleitet wurde, sollten erneut vorgestellt werden, um zu klären, ob eine sekundäre Resektabilität der Metastasen möglich ist. Die Rate der Metastasenchirurgie hat durch das wiederholte Vorstellen von Patienten in Tumorkonferenzen zugenommen [8].
Präoperative Ausbreitungsdiagnostik
Das Staging des Rektumkarzinoms umfasst
- komplette Koloskopie, ggf. Biopsie bei Zweittumoren
- Abdomensonographie
- Röntgen Thorax
- starre Rektoskopie mit ggf. Biopsie und Höhenangabe
- MRT Becken mit Angabe Abstand des Tumors zur mesorektalen Faszie
- Alternativ zur MRT rektale Endosonographie
Obligatorisch ist auch die rektal-digitale Untersuchung (Beurteilung der Sphinkterfunktion, bei tiefsitzenden Rektumkarzinomen Abschätzung des Sphinktererhalts).
In 5 % der kolorektalen Karzinome sind Zweittumoren zu erwarten. Deshalb sollte präoperativ eine komplette Koloskopie erfolgen [9, 10, 11]. Sollte diese wegen eines stenosierenden Tumors nicht möglich sein, kommen präoperativ bildgebende Verfahren in Betracht (CT- oder MR-Kolonografie) [12]. Unabhängig von der bildgebenden Diagnostik sollte in diesen Fällen eine Koloskopie 3 - 6 Monate nach der Resektion erfolgen.
Bei der Erstdiagnose eines Rektumkarzinoms beträgt die Häufigkeit von Fernmetastasen 18 %. Fernmetastasen finden sich in 14 % der Fälle in der Leber, Lungenmetastasen in 4 %, Peritonealmetastasen in 3 %, in nichtregionären Lymphknoten in 2 %. Zur Klärung von Lebermetastasen erfolgt als Basisdiagnostik die Abdomen-Sonographie und ein CT des Abdomens [13, 14].
Zum Zeitpunkt der Erstdiagnose ist bei etwa 30 % aller kolorektaler Karzinome der Tumormarker CEA erhöht und sollte daher präoperativ bestimmt werden. In der Tumornachsorge ist das CEA bei den Marker exprimierenden Tumoren ein zuverlässiger Hinweis auf ein Rezidiv und zudem im Falle von Lebermetastasen ein unabhängiger Prognosefaktor. Die Bedeutung von CA 125 als Verlaufsparameter zur weiteren Behandlung einer nachgewiesenen Peritonealkarzinose ist derzeit unklar [15, 16, 17].
Bedeutung des lokalen Staging beim Rektumkarzinom
Beim Rektumkarzinom kommt dem lokalen Staging eine entscheidende Bedeutung bei der weiteren Therapieplanung zu:
low risk T1-Karzinom: | lokale Abtragung |
high risk T1- und T2-Karzinom: | Resektion nach onkologischen Kriterien |
T3 = Infiltration des Mesorektum: | neoadjuvante Therapie |
T4 = Infiltration in Nachbarorgane: | neoadjuvante Radiochemotherapie |
Für T3-Karzinome belegen Daten, dass dem Ausmaß der Mesorektum-Infiltration (insbesondere der Abstand von der mesorektalen Faszie) eine wichtige prognostische Bedeutung zukommt [18]. Bei der totalen mesorektalen Exzision (TME) stellt diese Ebene die zirkumferentielle Resektionsgrenze (CRM) dar. Reicht das Karzinom bis 1 mm an die Faszie heran oder hat diese bereits infiltriert (CRM+), ist das Risiko für Lokalrezidive deutlich erhöht [18]. Weiterer Prognosefaktor ist der Lymphknotenbefall [19].
In einer Meta-Analyse aus 2004, in der die Daten zur Endosonographie, zu MRT und CT bis 2002 analysiert wurden, wies die Sonographie die höchste Genauigkeit bei T1-Karzinomen auf [20], was in einer aktuelleren Meta-Analyse bestätigt wurde [21]. Eine Alternative zur Endosonographie stellt das MRT mit endorektaler Spule dar (kostenintensiver, für Patienten unangenehm, kaum verfügbar). Im Vergleich zu MRT und CT wies die Endosonographie bei der Differenzierung von T2- und T3-Karzinomen wiederum eine höhere Sensitivität auf [20], wohingegen bei T4-Karzinomen kein wesentlicher Unterscheid zwischen der verschiedenen bildgebenden Verfahren besteht. Für die Darstellung der mesorektalen Faszie und ihrer Beziehung zum Tumor weist das MRT die höchste Sensitivität auf [22]. Das Spiral-CT kommt zur Beurteilung der Faszie alternativ in Frage [23], in der Endosonographie kommt die Faszie nicht zur Darstellung.
Radikalchirurgische Therapie des Rektumkarzinoms
Die kurative, radikale Resektion des Rektumkarzinoms umfasst in der Regel die Resektion des Primärtumors im Gesunden sowie die partielle oder totale Entfernung des Mesorektums und damit des regionären Lymphabflussgebietes [24]. Nur in streng selektionierten Fällen ist eine kurative Resektion durch lokale Maßnahmen möglich (Vollwandexzision).
Bei Einhaltung der Kriterien der onkologischen Chirurgie sind folgende Operationsverfahren in Abhängigkeit von Tumorlokalisation, Beziehung zur Linea dentata und Levatorschenkel, Tiefeninfiltration und Sphinkterfunktion als gleichwertig anzusehen:
- die tiefe anteriore Rektumresektion
- die abdomino-perineale Rektumexstirpation
- die intersphinktere Rektumresektion (abdomino-peranale Rektumresektion)
Onkologische Grundsätze:
1. Entfernung des regionären Lymphabflussgebietes mit Absetzen der A. mesenterica inferior zumindest distal des Abgangs der A. colica sinistra. Der Wert einer Lymphknotendissektion am Stamm der A. mesenterica inferior proximal des Abgangs der A. coelica sinistra ist nicht gesichert [25 - 28]. Gleiches gilt für die Dissektion der lateralen Lymphknoten entlang der A. iliaca interna inkl. ihrer Äste [31 - 34].
2. Komplette Entfernung des Mesorektums (TME) beim Karzinom des mittleren und unteren Rektumdrittels und partielle Mesorektumexzision beim Karzinom des oberen Rektumsdrittels durch scharfe Dissektion zwischen Fascia pelvis visceralis und parietalis entlang anatomischer Strukturen [29, 30].
3. Einhaltung eines angemessenen Sicherheitsabstands
- Oberes Rektumdrittel : horizontales Absetzen des Rektums mit partieller Mesorektumexzision 5 cm distal makroskopischen Tumorrands [29, 36 - 39]*
- Mittleres und unteres Rektumdrittel: TME bis zum Beckenboden unter Schonung des Plexus hypogastricus superior, der Nn. hypogastrici und des Plexus hypogastrici inferiores [40 - 42]
-> Low-Grade-TU guter o. mäßiger Differenzierung im unteren Drittel Sicherheitsabstand von 1-2 cm ausreichend
-> bei High-Grade-TU > 2 cm [43 - 47]
* Begründung: Bei T3- und T4-Tumoren können in seltenen Fällen Satellitenknoten oder Lymphknotenmetastasen in bis zu 4 cm distal des makroskopischen Tumorrands vorkommen.
Rekonstruktion nach totaler mesorektaler Exzision
Nach TME mit nachfolgender sphinkternaher Anastomose kommen folgende Rekonstruktionsverfahren in Betracht:
- gerade colo-anale Anastomose
- Colon-J-Pouch
- transverse Coloplastie
- Seit-zu-End-Anastomose
Gerade colo-anale Anastomosen führen insbesondere in den ersten beiden postoperativen Jahren zu erhöhter Stuhlfrequenz sowie schlechterer Kontinenz und Lebensqualität und werden daher nicht empfohlen [48]. Die Vorteile des Colon-J-Pouches hinsichtlich des funktionellen Ergebnis sind am besten belegt [48, 49]. Zur Vermeidung von Entleerungsproblemen sollte bei Anlage des J-Pouches die Schenkellänge nicht über 6 cm liegen [50]. In fast 75 % der Fälle ist die Anlage eines J-Pouch technisch möglich [49]. Aus funktioneller Sicht ist die Seit-zu-End-Anastomose dem Colon-J-Pouch wahrscheinlich ebenbürtig [51], die transverse Coloplastie ist dem Pouch unterlegen [52].
Stoma-Anlage
Bei radikaler Operation des Rektumkarzinoms mit TME und tiefer Anastomose sollte ein temporäres Stoma vorgeschaltet werden. Dadurch kann die Morbidität (Anastomosenlecks, dringliche Relaparotomien) gesenkt werden [53]. Kolostoma und Ileostoma werden als gleichwertig angesehen, allerdings favorisieren aktuelle Meta-Analysen eher das Ileostoma [54, 55]. Die Stomaposition soll präoperativ angezeichnet werden. Die Ileostomie sollte prominent angelegt werden (> 1 cm), die Kolostomie leicht erhaben.
Lokale Operationsverfahren des Rektumkarzinoms
Die lokale Tumorexzision (Vollwandexzision) als alleinige Maßnahme unter kurativer Zielsetzung (R0-Resektion) ist onkologisch ausreichend bei pT1-Karzinomen unter folgenden Voraussetzungen [56 - 59]:
- maximaler Tumordurchmesser 3 cm
- gute oder mäßige Differenzierung
- keine Lymphgefäßinvasion (Low-Risk-Histologie)
Im Vergleich zur radikalen Operation ist auch bei Low-Risk-Fällen mit einem höheren Risiko für Lokalrezidive zu rechnen bei gleichzeitig geringerer Morbidität und Letalität, so dass diese Risiken gegeneinander abzuwägen sind [60, 61]. Studien sprechen dafür, dass die Technik der transanalen endoskopischen Mikrochirurgie der offenen transanalen Exzision unter Zuhilfenahme von Spreizern überlegen ist [62, 63].
Bei T1-High-Risk-Karzinomen (G3/4 und/oder Lymphgefäßinvasion) und bei T2-Karzinomen liegt das Auftreten von Lymphknotenmetastasen bei 10 - 20 %, so dass die alleinige lokale Exzision nicht empfohlen wird [64, 65].
Laparoskopische Chirurgie
Bei entsprechender Expertise des Operateurs und geeigneter Selektion kann die laparoskopische Resektion eines kolorektalen Karzinoms mit gleichen onkologischen Ergebnissen im Vergleich zum offenen OP-Verfahren durchgeführt werden. Im Kurzzeitverlauf ist bei den minimal-invasiven Verfahren die perioperative Morbidität geringer bei unveränderter Gesamt-Morbidität und Letalität [66]. Im Langzeitverlauf wurden weder für die Rate an Narbenhernien und adhäsions-bedingten Relaparotomien noch für Tumorrezidive Unterscheide zwischen laparoskopischer und konventioneller Operation gefunden werden [67, 68]. Auch die britische CLASSIC-Studie belegt die onkologische Sicherheit der laparoskopischen Chirurgie bei kolorektalen Karzinomen [69, 70].