Prinzipien und Technik der Beugesehnennaht
Verklebungen und Vernarbungen zwischen Sehne und umgebendem Gewebe, besonders im Bereich der Beugesehnenscheiden, sind das Hauptproblem der Beugesehnenchirurgie. Verklebungen lassen sich nur durch das frühzeitige Bewegen der Sehne vermeiden durch passive, besser noch aktive Nachbehandlungskonzepte [1]. Da die Nahtstelle mechanisch belastet wird, noch bevor die Sehne abgeheilt ist, werden an die Stabilität der Naht hohe Anforderungen gestellt.
Kommt es zu einer Ruptur der Nahtstelle, ist diese in 80 % der Fälle auf eine mechanische Überlastung des Nahtmaterials zurückzuführen. Knotenbildungen können die Festigkeit um bis zu 50 % reduzieren und zu einer deutlichen Schwächung des Nahtmaterials führen [2]. In 20 % der Fälle liegt der Ruptur der Nahtstelle ein Ausriss der Naht aus dem Sehnengewebe zugrunde.
Im Rahmen der funktionellen Nachbehandlung kann sich eine schleichende Dehiszenz entwickeln, also ein Auseinanderweichen der Sehnenstümpfe ohne Ruptur der Nahtstelle. Dehiszenzen sind ursächlich auf das Auslockern der Naht in der Sehne sowie einer intratendinösen Narbenbildung zurückzuführen. Narben innerhalb der Sehne stellen eine Schwachstelle dar, die zu einer später funktionell störenden Überlänge der Sehnen führen kann. Beträgt die Dehiszenz mehr als 3 mm, nimmt die Festigkeit der Naht ab dem 10. postoperativen Tag nicht mehr zu, was zu einer hohen Rupturgefahr führt [3].
Zu den Faktoren, die die Gleitfähigkeit der Naht deutlich beeinträchtigen können, gehören:
- durch zu festes Anziehen der Kernnaht bedingte Auftreibung der Nahtstelle
- Einbringen exzessiver Mengen an Nahtmaterial
- nicht im Sehnengewebe versenktes Nahtmaterial und Knoten
- überstehende Fasern aus den Sehnenstümpfen im Nahtbereich
- Dehiszenzen (s.o.)
Die Gleitfähigkeit der Sehne nach Rekonstruktion hängt von folgenden Parametern ab:
- Technik der Kernnaht
- Anzahl der Nahtstränge
- Nahtstärke, Nahtmaterial
- Technik der Feinadaptation
Für die Technik der Kernnaht gilt, dass Fadenführungen, bei denen der Faden die Sehnenfasern so umfasst, dass es beim Anziehen der Naht zu einem Schließen der Schlinge kommt (sog. blockierende Naht), deutlich stabiler sind als umgreifende Nähte (10 – 50 % [4, 5]). Klassisches Beispiel ist die Naht nach Kirchmayr-Kessler [6, 7]. Der Schlingendurchmesser sollte größer als 2 mm sein, ansonsten kann die Schlinge ausreißen [8]. Blockierende Zwischennähte können die Nahtfestigkeit weiter steigern, führen jedoch zu einer ungleichmäßigen Spannungsverteilung in der Naht, was zur Überlastung von Sehnensträngen führen kann [9].
Die Festigkeit einer Naht nimmt mit der Stärke des Nahtmaterials zu. Messungen an geflochtenen Polyesterfäden zeigen, dass die Festigkeit einer Naht der Stärke 4/0 um 64 % höher ist als bei der Stärke 5/0. Ein Faden der Stärke 3/0 weist eine um 43 % höhere Reißfestigkeit auf als ein Faden der Stärke 4/0, ein Faden der Stärke 2/0 gegenüber 3/0 um 63 % [10]. Fäden der Stärke 5/0 sind für Kernnähte wegen ihrer geringen Festigkeit nicht geeignet [11].
Mit der Anzahl der Schlingen und Knotenbildungen innerhalb der Sehne steigt die Festigkeit einer Beugesehnennaht an [12]. Diese Interaktionen zwischen Faden und Sehne werden als Ankerpunkte bezeichnet. Nahttechniken mit einer deutlich höheren Anzahl an Ankerpunkten im Vergleich zur einfachen Kirchmayr-Kessler-Naht erhöhen die Stabilität der Sehnenrekonstruktion [13].
Diverse biomechanische Untersuchungen haben ergeben, dass die Reißfähigkeit einer Beugesehnennaht proportional zur Anzahl der Nahtstränge zunimmt, sie jedoch zwischen dem 5. und 21. Tag unabhängig von der Anzahl der Nahtstränge abnimmt, je nach Nahttechnik allerdings auf unterschiedlichem Niveau [2, 14]. Für die Nachbehandlung nach Beugesehnennaht bedeutet dies:
- Die Reißfestigkeit einer Zweistrangnaht reicht für die Belastungen einer passiven Nachbehandlung aus, nicht jedoch für eine aktive Nachbehandlung ohne Widerstand.
- Erst ab einer Vierstrangnaht besteht eine ausreichende Reißfestigkeit für eine aktive Nachbehandlung ohne Widerstand.
- Keine Nahttechnik bietet ausreichende Stabilität für einen maximalen Krafteinsatz.
Für die Lage der Knoten gilt, dass sie in der Sehne versenkt werden sollten. Bezüglich der Sehnengleitfähigkeit soll es am günstigsten sein, wenn die Knoten in der Nahtstelle selbst liegen. Dadurch wird allerdings eine gewisse Dehiszenz verursacht, auch reduziert ein Knoten die Kontaktfläche der Sehnenstümpfe. Werden zwei Knoten in der Nahtstelle platziert, reduziert sich die Kontaktfläche um bis zu 27 %, bei der Achtstrangnaht nach Savage um bis zu 18 %, bei der Kirchmayr-Kessler-Naht um 2 % [15, 16]. Allerdings ist es in der Regel kein Problem, den Knoten außerhalb der Nahtstelle zu versenken wie bei der Modifikation der Kirchmayr-Kessler-Naht nach Zechner, die bei der OP-Durchführung, Schritt 6 im Clip demonstriert wird [17].
Die Haltbarkeit der Sehnennaht hängt auch von der Knotentechnik ab. Empfohlen wird ein chirurgischer Knoten, der 4-mal geknüpft wird [12]. Ein 4-mal geknüpfter Knoten pro Naht ergibt eine höhere Reißfestigkeit als mehrere Knoten pro Naht, was auf eine ungleichmäßige Verteilung der Nahtspannung und eine Abnahme der Reißfestigkeit im Knoten selbst zurückzuführen sein soll [2, 18, 19]. Die Platzierung der Nähte in den dorsalen Anteilen der Sehne soll zu einer höheren Stabilität führen [20, 21].
Nach einer Sehnendurchtrennung kommt es in den angrenzenden Abschnitten der Sehnenstümpfe zu degenerativen Veränderungen, die zu einer Abnahme der Festigkeit führen, weshalb die Ankerpunkte nicht zu nahe am Sehnenstumpf platziert werden sollten. Die günstigste Position der Ankerpunkte befindet sich in einem Abstand von 7 bis 10 mm vom Sehnenstumpf entfernt. Ein größerer Abstand (> 12 mm) ergibt keine größere Festigkeit [22, 23].
Nach Durchführung der Kernnaht sollte zur Glättung der Oberfläche, Zunahme der Reißfestigkeit und Vermeidung von Dehiszenzen eine umlaufende Feinadaptation erfolgen, bei der die oberflächlichen Sehnenanteile invertiert werden [24, 25, 26]. Die Feinadaptation muss mit feinstem Nahtmaterial erfolgen, um die Gleitfähigkeit der Sehne durch das außen liegende Nahtmaterial nicht zu beeinträchtigen.
Über ein optimales Nahtmaterial für die Beugesehnenchirurgie besteht derzeit kein Konsens. Zu den derzeit häufig eingesetzten nichtresorbierbaren Nahtmaterialien gehören u.a. geflochtene Polyesterfäden, monofiles Nylon, monofiles Polypropylen und Fäden aus geflochtenem Polyäthylen. Bei resorbierbaren Fäden ist eine ausreichende Standzeit des Materials zu beachten, die u.a. von Polidioxanon und Polylactid erreicht wird [27, 28, 29].
Prinzipien für die Durchführung von Beugesehnennähten
eher günstig | eher ungünstig | |
Fadenverlauf in der Sehne | blockierende Nähte, blockierende Zwischenknoten | umgreifende Nähte |
Stärke des Nahtmaterials | Fadenstärke 3/0 und 4/0 | Fadenstärke 5/0 und 2/0 |
Ankerpunkte | große Anzahl, z. B. Kreuzstichnaht n. Becker | geringe Anzahl, z. B. Kirchmayr-Kessler-Naht |
Anzahl der Nahtstränge | ≥ 4 | 2 |
Knotenlage | in der Sehne | außerhalb der Sehne |
Abstand Ankerpunkt vom Sehnenstumpf | 7-10 mm | < 7 mm |
umlaufende Feinadaptationsnaht | ja | keine |